Die Brennabor-Werke Gebr. Reichstein, später Brennabor-Werke AG, waren ein deutscher Hersteller von Kinderwagen, Fahrrädern, Kraftwagen und Motorrädern mit Sitz in Brandenburg an der Havel.[2] Der Name des Unternehmens geht auf den vorgeblich alten (aber falschen) Namen der Stadt Brandenburg zurück.

Brennabor-Werke AG
Rechtsform Aktiengesellschaft
Gründung 1871 (als Brennabor-Werke Gebr. Reichstein)
Auflösung 1945
Auflösungsgrund Demontage des Werks nach dem Zweiten Weltkrieg
Sitz Brandenburg an der Havel, Deutschland
Mitarbeiterzahl
  • 6.000 (1924)
  • über 6.000 (1939)[1]
Branche Kinderwagenhersteller, Fahrradhersteller, Kraftfahrzeughersteller

Seit 2020 ist Brennabor eine Fahrrad- und E-Bike-Marke der Hermann Hartje KG.

Geschichte

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Brennabor-Werke Brandenburg (1913)
 
Emblem
 
Brennabor-Fahrrad
 
Aktie über 1000 RM der Brennabor-Werke AG vom Oktober 1940

Die Brüder Adolf, Carl[3] und Hermann Reichstein gründeten 1871 das Unternehmen. Wie ihr 1862 verstorbener Vater, dessen Geschäft sie fortführten, waren die drei gelernte Korbmacher. Um den Betrieb über Körbe hinaus zu erweitern und von Zulieferern unabhängig zu sein, kamen zur Korbmacherei Tischlerei, Stellmacherei, Schlosserei und Schmiede hinzu, sodass am 21. April 1871 die Herstellung kompletter Kinderwagen begann. Die Belegschaft des Unternehmens stieg innerhalb der ersten drei Jahre auf 300 an.[4]

Ab den 1880er Jahren stellten die Reichsteins auch Fahrräder her, die 1888 den Markennamen Brennabor erhielten.[5] Bis in die 1930er Jahre war Brennabor größter Kinderwagenhersteller in Europa und eine der größten Fahrradfabriken. Ab 1901 fertigten die Werke auch Motorräder in Serie, ab 1903 Kraftwagen (zunächst nur auf Bestellung) mit drei und vier Rädern. 1908 begann die Serienproduktion von Automobilen. Während des Ersten Weltkriegs wurden keine Automobile hergestellt, Motorräder zunächst nur bis 1916. Die Brennabor-Werke unterhielten ab 1908 einen eigenen Rennstall und erzielten weltweit große Erfolge im Motorsport.

Im Jahr 1919 wurde der Mittelklassewagen Typ P vorgestellt, für den 1921 die Großserienproduktion begann. Anfang bis Mitte der 1920er Jahre war Brennabor zum größten Automobilhersteller Deutschlands aufgestiegen, bis 1927/28 noch zweitgrößter hinter Opel. Das Unternehmen beschäftigte 1924 6000 Arbeiter. 1927 produzierten die Bennabor-Werke 82.000 Kraftwagen.[6] Brennabor schloss sich 1919 unter Führung von Sigmund Meyer mit der NAG und Hansa-Lloyd zum Kartell Gemeinschaft Deutscher Automobilfabriken (GDA)[7] zusammen. Diese Vertriebsorganisation bestand bis 1928, führte aber nicht zu einem festen Zusammenschluss der beteiligten Unternehmen.

Brennabor führte 1923/24 als einer der ersten deutschen Automobilhersteller die Fließbandfertigung ein. Die Weltwirtschaftskrise bewirkte, dass die Produktionszahlen zurückgingen, zumal kein Kleinwagen im Angebot war. 1931 entwickelte das Unternehmen auf Basis des Typs Juwel 6 erstmals einen Prototyp mit Frontantrieb (nach Voran-Patenten). Zu einer Serienfertigung kam es aus finanziellen Gründen nicht mehr. 1932 wurde die Automobilproduktion zunächst für acht Monate unterbrochen, im Spätherbst kurzzeitig mit neuen Modellen nochmals aufgenommen und 1933 endgültig eingestellt. 1932 wurden die Brennabor-Werke in eine Aktiengesellschaft umgewandelt. In Berlin unterhielt das Unternehmen sechs Verkaufsniederlassungen und eine in Potsdam.[8]

Von 1930 bis 1942 produzierte Brennabor Leichtmotorräder mit Einbaumotoren von Fichtel & Sachs, ab 1939 auch mit eigenen Motoren (Modell G 100) und Fahrräder noch bis 1945. Es wurden auch Rüstungsgüter produziert, zum Beispiel die 2-cm-Flak 38. Die Unternehmensgeschichte endete nach dem Zweiten Weltkrieg 1945 mit der Demontage des Werkes. Brennabor-Produkte wurden weltweit exportiert, so nach Australien, China, Südamerika, Südafrika und ganz Europa.

Auf dem Werksgelände etablierten sich anschließend die Brandenburger Traktorenwerke, die bis 1964 Rad- und Kettenschlepper produzierten und dann die Produktion auf Nutzfahrzeuggetriebe umstellten. Seit 1991 ist das Getriebewerk Brandenburg ein Tochterunternehmen der ZF Friedrichshafen. ZF unterhält am ehemaligen Werk eine Lehrlingsausbildungsstätte. Seit 2018 arbeitet dort auch die Zentrale Zulagenstelle für Altersvermögen (ZfA), die bundesweit für die Förderung der Riester-Rente zuständig ist.

Neuzulassungen von Brennabor-Pkw im Deutschen Reich von 1933 bis 1938

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Jahr Zulassungszahlen
1933 921
1934 222
1935
1936 3
1937
1938 2

Quelle:[9]

Pkw-Modelle

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Brennabor Typ A1, ca. 1908
 
Brennabor von 1908
 
21. Automobil-Ausstellung 1928 in Berlin: Stand von Brennabor
 
Betriebsgebäude der ehem. Brennabor-Werke
Modell Bauzeitraum Motorbauform Hubraum Leistung Höchstgeschwindigkeit
Typ A1 3,5/8 PS 1905–1911 R2 904 cm³ 6–8 PS (4,4–5,9 kW) 50 km/h
Brennaborette
  • 3,5 PS,
  • 4 PS
  • 5,5 PS
1907–1912
  • Einzylinder
  • Einzylinder
  • R2

  • 3,5 PS (2,6 kW)
  • 4 PS (2,9 kW)
  • 5,5 PS (4 kW)
Kleinwagen 6/12 und 6/14 PS 1908–1910 R4 12–14 PS (8,5–10,3 kW) 70 km/h
Typ D 10/20 und 10/24
(Prinz Heinrich Wagen)
1910–1911 R4 20 PS (14,7 kW) und
24 PS (17,7 kW)
80 km/h
Typ B 5/12 PS 1911–1913 R4 1328 cm³ 12 PS (8,8 kW) 55 km/h
Typ L 6/18 PS 1911–1914 R4 1592 cm³ 18 PS (13,2 kW) 60 km/h
Typ C 6/18 PS 1910–1912 R4 18 PS (13,2 kW) 65 km/h
Typ G 8/22 PS 1910–1914 R4 2025 cm³ 22 PS (16,2 kW) 70 km/h
Typ F 10/28 PS 1911–1914 R4 2476 cm³ 28 PS (20,6 kW) 80 km/h
Typ M 6/16 PS 1914 R4 1453 cm³ 16 PS (11,8 kW) 70 km/h
Typ P 8/24 PS 1919–1925 R4 2091 cm³ 24 PS (17,7 kW) 65 km/h
Typ S 6/20 PS 1922–1925 R4 1569 cm³ 20 PS (14,7 kW) 70 km/h
Typ R 6/25 PS 1925–1928 R4 1569 cm³ 25 PS (18,4 kW) 70 km/h
Typ P 8/32 PS 1925–1927 R4 2091 cm³ 27 PS (19,9 kW) 75 km/h
Typ AL 10/45 PS 1927–1930 R6 2547 cm³ 45 PS (33,1 kW) 70 km/h
Typ Z 6/25 PS 1927–1929 R4 1569 cm³ 25 PS (18,4 kW) 70 km/h
Typ AK 10/45 PS 1927–1930 R6 2547 cm³ 45 PS (33,1 kW) 85 km/h
Typ ASK / Typ AFK 12/55 PS 1928–1932 R6 3080 cm³ 55 PS (40,5 kW) 90 km/h
Typ ASL / Typ AFL 12/55 PS 1928–1932 R6 3080 cm³ 55 PS (40,5 kW) 85 km/h
Ideal 7/30 PS 1929–1933 R4 1640 cm³ 30 PS (22,1 kW) 75 km/h
Juwel 6 10/45 PS 1929–1932 R6 2460 cm³ 45 PS (33,1 kW) 85 km/h
Juwel 8 14/60 und 14/65 PS 1930–1932 R8 3417 cm³ 60 PS (44,1 kW) 100 km/h
Juwel Front 10/45 PS Prototyp 1931 R6 2460 cm³ 45 PS (33,1 kW) 85 km/h
Typ C 4/20 1931–1933 R4 995 cm³ 20 PS (14,7 kW) 75 km/h
Ideal extra 7/30 PS 1930–1933 R4 1640 cm³ 30 PS (22,1 kW) 75 km/h
Typ D 4/22 1933 R4 995 cm³ 22 PS (16,2 kW) 75 km/h
Typ E 8/38 PS 1933 R6 1957 cm³ 38 PS (27,9 kW) 80 km/h
Typ F 10/45 PS 1933 R6 2460 cm³ 45 PS (33,1 kW) 90 km/h

Lkw-Modelle

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Modell Bauzeitraum Motorbauform Hubraum Leistung Zuladung Höchstgeschwindigkeit
Typ NL 1929–1931 R4 1640 cm³ 25–30 PS (18 bis 22 kW) 0,75 t 50 km/h
Typ BL 1929–1933 R6 2460 cm³ 38–45 PS (28 bis 33 kW) 1,5 t 50 km/h
Typ ATZ 1930–1933 R6 3080 cm³ 45–55 PS (33 bis 40 kW) 1,75 t 50 km/h

Marke nach 1945

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In den 1950er Jahren tauchte die Marke Brennabor bei Mopeds westdeutscher Produktion wieder auf[10], produziert von den Brennabor Fahrzeugwerken m.b.H., deren Fabrik sich in der Banksstraße 20–26 in Hamburg befand. Dieselbe Adresse gibt der Verband der Fahrrad- und Motorrad-Industrie E. V., Bad Soden (Taunus), in seinem Mitgliederverzeichnis für die Brennabor Fahrzeuggesellschaft mbH an, mit dem Hinweis, dass sich der Betrieb in Schötmar/Lippe befindet[11]. Unter anderem gab es von 1953 bis 1955 ein Modell Brennabor FP 5. In den 1990er und 2000er Jahren wurde Brennabor als Handelsmarke für Fahrräder verschiedener Hersteller verwendet. Im September 2020 gab die Hermann Hartje KG aus Hoya, Niedersachsen, bekannt, die Namensrechte an Brennabor erworben zu haben und etablierte die Marke in der folgenden Zeit neu auf dem Fahrrad- und E-Bike-Markt.[12]

Literatur

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  • Archiv Mario Steinbrink, Interessengemeinschaft Brennabor Brandenburg, www.brennabor-brb.de
  • Werner Oswald: Deutsche Autos. Band 2: 1920–1945. 2. Auflage. Motorbuch-Verlag, Stuttgart 2005, ISBN 3-613-02170-6.
  • Bertold Pavel, Frank Brekow, Bernd Krause: Von Brennabor bis ZF Brandenburg. Eine Industriegeschichte. Brandenburgisches Verlagshaus, Berlin 1996, ISBN 3-89488-107-0.
  • Fred Frank Stapf, Renate Stapf, Roger Daniel: Brennabor. Vom Korbmacher zum Autokönig. Aus dem Leben der Industriellen-Familie Reichstein 1839–1971. Kerschsteiner Verlag, Lappersdorf 2005, ISBN 3-931954-12-9.
  • Autotypenbücher, Typentafeln des Reichsverbandes der Automobilindustrie, 19. Auflage, 1931
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Commons: Brennabor – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

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  1. Brennabor-BRB.
  2. Oldtimerservice: Brennabor (Memento des Originals vom 31. Januar 2018 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.gtue-oldtimerservice.de.
  3. Deutsche Biographie: Reichstein, Carl Eduard Robert.
  4. Brennabor. In Automodelle, Katalog 1970/71, Vereinigte Motorverlage, Stuttgart 1970, S. 54–56.
  5. Heimatkundliche Blätter 2016, VFV-Info Heft 1/2016.
  6. [1]
  7. Christoph Graf von Seherr-Thoß: Meyer, Sigmund (genannt Hans Sigismund). In: Neue Deutsche Biographie (NDB). Band 17, Duncker & Humblot, Berlin 1994, ISBN 3-428-00198-2, S. 373 f. (Digitalisat).
  8. Anzeige der Gebr. Reichstein Brennabor-Werke in Deutsche Allgemeine Zeitung, April 1929.
  9. Hans Christoph von Seherr-Thoss: Die deutsche Automobilindustrie. Eine Dokumentation von 1886 bis heute. Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart 1974, ISBN 3-421-02284-4, S. 328.
  10. Brigitte Podszun: Mopeds der Wirtschaftswunderzeit. Podszun Verlag, Brilon, Auflage 2010. ISBN 978-3-86133-276-3.
  11. Zweirad-Gesellschaft mbH, Frankfurt a. M. (Herausgeber): Deutsche Motorräder, Motorroller, Mopeds 1955. Motor-Presse-Verlag, Stuttgart
  12. Relaunch Radmarkt.de. Abgerufen am 26. Oktober 2021.